Die Hauptstadt der Welt

Donnerstag, 03.09.2015

Wenn euch ein Marsmensch, der keine Meere, Länder oder kulturellen Unterschieden kennt, fragen würde "Was ist eigentlich die Hauptstadt der Welt?" Was würdet ihr antworten?

Tokio? Moskau? Rio? Rom? Mekka? London?

Für meine Welt, als westlich geprägter Europäer, ist es ab heute klar New York City. Es ist locker die gigantischste, weitläufigste, beeindruckenste, lebendigste und vielschichtigste Stadt die ich je gesehen hab. Ich mein, wie soll man alleine diese filmreife Atmosphäre toppen, die entsteht wenn man Manhattan von der Brooklyn Bridge aus im Gegenlicht sieht.
Allein wie viel man von dieser Stadt schon gehört hat, lässt jede andere nicht-europäische Metropole alt aussehen.

Eine Kostprobe? Times Square! Empire State Building! Central Park! Madison Square Garden! Rockefeller Center!

Ach halt stop, das sind ja blos die Sehenswürdigkeiten die ich nach einem Tag herumlaufen in Manhattan noch nicht gesehen hab. Die sind heute (Mittwoch) fällig, aber erzähl ich doch erstmal von gestern...

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Ich glaub, New York hätte mich nicht halb so heftig erwischt, wenn es, so wie zum Beispiel London, einfach eine Stadt in einer konturlosen, flachen, langweiligen Landschaft wäre. Ich bin nicht zufällig ein Fan von abgegrenzten Gebieten. Inseln, Halbinseln, Bergtäler oder Plateaus. In New York ist jeder Stadtteil räumlich klar getrennt, da gibt es keine Diskussionen.

Manhattan zum Beispiel, müsst ihr euch vorstellen wie ein Schiff. Auf der Landkarte sieht es eher aus wie ein Schiff, dass mit dem Festland verwachsen ist, aber ich denke jeder hat genug Fantasie um da ein Schiff zu erkennen. Wer es mir nicht glaubt, hier ein Foto von der Reling:

Das muss so ungefähr die Stelle sein, wo 2009 ein Flugzeug mit Vogelschlag eine Notwasserung  gemacht hat. Der Kapitän hatte es damals geschafft die Maschine ein paar Meter über die George-Washington Brücke zu ziehen um danach auf dem vereisten Hudson River zu landen. Krasser Typ, auf jeden Fall. Auch wenn ichs ein bisschen überzogen find, wie er als Held gefeiert wird. Ich mein, was hätt er denn sonst machen sollen?

Mein Zimmer befindet sich so ziemlich am Ende von Manhattan, dass durch einen Fluss von den kriminell angehauchten Bronx abgetrennt wird. Allerdings erinnert mein Viertel, trotz seinem ehrwürdigen Namen Washington Heights, eher an die Bronx. Ziemlich klischeehaft sogar, die Ubahnstationen bröckeln komplett ausseinander und die Häuserblocks erst recht. Unter 100 Schwarze kommen ungefähr fünf Israelis und ein Weißer. Das mühsame Arbeitsleben der Leute hier spiegelt sich überall wieder... die Leute sind morgens genervt und unfreundlich und hetzen zu ihren Läden bzw Verkaufsständen um sich dort schon um sieben Uhr morgens* an die Theke zu stellen.
Abends, nach Feierabend, ein komplett anderes Bild. Alle sind fröhlich und grinsen einen an und vor den Essenständen sind kilometerlange Schlangen für den dominikanischen Feierabend Snack, so seltsame Teigtaschen mit Gemüse drin. Heut pfeiff ich mir so eine zum Mitnehmen rein!

Ich bin hier in einem kleinen, komplett schwarz - weiß eingerichteten Zimmer untergekommen und werd von zwei sympathischen israelischen Bankarbeitern namens Ezra und Ephraim beherbergt. Gestern Abend wollten sie mit mir ein Bier trinken und irgend so einen koscheren Fleischspiess essen, aber da war ich leider zu platt. Nächstes Mal!
Ziemlich amüsant find ich, wie hier aus jedem zweiten Amischlitten heftigster Gangsta Rap wummert, da kann man das Kopfnicken echt kaum unterdrücken. Hier mal ein Beispiel, was ich gestern aufgeschnappt hab. Natürlich wird hart mit den Reifen gequietscht und ich habe in den letzten zwei Tagen mehr Hupen gehört, als in meiner gesamten Zeit in Bad Kissingen und Freising zusammen. Ich hab trotzdem das Gefühl die Autofahrer sind entspannter drauf als in Deutschland, glaub das Hupen ist hier einfach Standart.

* woher ich das weiß? Da komm ich später dazu.

Also, das war mein erstes Bild von New York. Um mich selber ein bisschen zu überraschen (ja es ist mir tatsächlich gelungen) beschloss ich die 20km Ubahn zur untersten Spitze von Manhattan, der sogenannten Downtown zu nehmen. Ich war von der ersten Sekunde an komplett überwältigt. Das Gefühl, vorne an den Bug zu laufen und die Freiheitsstatue in echt mit eigenen Augen hinter einem perfekt getimten Dampfschiff auftauchen zu sehen ist unbezahlbar.
Gerade wegen den paar Kilometer Meer zwischen mir und ihr sah sie gigantisch aus. Und ihre Symbolik hat mich auch erwischt, ich hab mich selten in meinem Leben so frei gefühlt.
Jaja, ich weiß, wie sollte ich mich auch sonst fühlen wenn ich allein durch ne Großstadt lauf. Lasst mich, es war echt was besonderes 😀 Ich wette, so ähnliche Gedanken hat jeder Europäer, der an der Metrostation South Ferry aussteigt. Wilkommen im Land der Freiheit, wo alle Leute nett Fotos von einem machen:

Ich hab die Entscheidung mir für Amerika keinen Fotoapparat zu kaufen, heute schon bereut. Besonders den Zoom hab ich vermisst... eins der schönsten Aussichten auf NY , nämlich der Blick von der Brooklyn Bridge auf Midtown, konnte auf diese Art nicht ohne Brückenbalken im Bild festgebrannt werden. Ich bin froh dass mein Handy keine Selfies machen kann, von denen hat nämlich eh jeder die Nase voll. Selbst ich von meinen eigenen.

Weiter ging es kreuz und quer durch Downtown, immer auf der Suche nach neuen Wolkenkratzern. Zum Glück hab ich mir einen Stadtplan zugelegt, da musste ich nicht dauernd aufs Handy schauen... zumal ich ausserhalb meiner Wohnung eh kein Internet hab. Aber hätt ich trotzdem mal lieber mehr auf meine Umgebung geachtet, als nächstes folgte nämlich das unschönste Ereigniss des Tages.

Ich lief grad ohne böse Absicht die Wall Street entlang und dachte über große Banken und den Kaptialismus nach, da hörte ich auf einmal jemand herumschreien. "STOP! Hey, you! Immedeately". Zunächst drehte ich mich gar nicht erst um, ich dachte halt, das betrifft mich nicht. Es ging eh alles ziemlich schnell, ich hab dann nurnoch gesehen wie die Leute von mir zurückwichen und von der Seite zwei Polizisten auf uns zu rannten. Ich glaub ich hab noch nie jemand so schnell rennen gesehen. Mein Blitzgedanke in dem Moment: "Scheisse ein Banküberfall oder sowas". Ich wollte ausweichen, aber da war es schon zu spät. Mit voller Wucht wurde ich auf den Boden gedrückt, gegen ein Polizeiauto geschleift und gewaltsam festgehalten. Erst jetzt verstand ich, dass sie hinter mir her waren, aber überhauptnicht wieso. Natürlich machten diese Schaulustigen schadenfreudigen Touristen etliche Fotos, in dem Moment echt beschämend. Eines davon wurde mir dann später zugespielt:

...

...

...

 

Haha, nein, natürlich nicht. Keine Sorge 😀 Ab dem Wort Wall Street ist alles erfunden, ich kam mit den beiden ins Gespräch, weil ich sie nach der nächsten Toilette gefragt hab. Sehr freundlich die Polizisten in New York! Und sie verstehen Spaß...

Als nächstes, nach einer halben Flasche leckeres Mountain Dew und einem chinesischen Imbiss, nahm ich die Wolkenkratzer mal von der Nähe in den Fokus. Die haben da ganz schön große Häuser, ich frag mich wer zur Hölle da drin alles sein Büro haben will. Oder sind die doch durchgehend bewohnt? Ich kann mir das noch nicht erklären. Ich weiß nur dass das Empire State Building mal ne Zeit lang den Spitznamen Empty State Building hatte. (Worüber ich mich königlich amüsiert hab, wie gehässig) Es hat übrigens eine eigene Postleitzahl, laut Wikipedia. Aber dazu morgen mehr, zurück zu Downtown.

So sieht das von unten aus... sorry für die Blendung.

Generell ging gestern ohne Sonnenbrille nicht viel, so viel wie da nach oben zu sehen war. Und so viel wie das Glas gespiegelt hat. Kaum hab ich sie abgesetzt, wurde es richtig anstrengend, also schnell wieder drauf. Ich kann mir auch momentan überhaupt nicht vorstellen, dass es hier manchmal so krasse Wintereinbrüche gibt. Wahrscheinlich schneit es dann ab der 68. Etage aufwärts, oder wie sieht das dann aus? Hoffentlich krieg ich es auf die Reihe, Sylvester hier her zu fahren.

Was mich mit Abstand am meisten interessiert hat, ist wie es wohl heute da aussieht, wo früher mal die Türme des World Trade Center waren. Na, wer weiß es? Ich seit gestern, aber die Fotos lass ich mal weg. Da müsst ihr selber hin. Nicht sparsam bin ich aber mit den Fotos meines Lieblings Wolkenkratzers, dem World Trade Observatory, mit 541m nebenbei auch der höchste in Manhattan und der vierthöchste auf der Welt.

mit Mountain Dew und Gerippe

im Nachbarturm gespiegelt

von ganz nah, lag ne halbe Stunde da

 

von innen, auch wie ein Gerippe

Was für eine geniale Geometrie, die Grundfläche von dem Turm ist genauso groß wie die Dachfläche, nur um 45Grad gedreht. Aber das ohne, dass der Turm verdreht ist wie ein kaputtes Tetrapak, sondern nur durch dreieckige Seitenflächen die geschickt angeordnet sind. Deswegen sieht er auch von ganz nah so "unendlich hoch" aus. Respekt!

Danach war ich wieder an der Ostküste von Manhattan, auch Tribeca genannt und hab mich ein wenig auf einem öffentlichen Billiardtisch entspannt. (der aber eh klar kaputt war) Schöner Blick auf die Wolkenkratzer da hinten, das ist übrigens New Jersey. Wette es wäre keinem aufgefallen, wenn ich behauptet hätte das wäre Manhattan selber 😀 Starke Sillouette eben, muss man dem Stadtviertel lassen. Ist übrigens die selbe Stelle, wie bei dem Foto in der Einleitung.

Mein erster Blick aufs berühmte Empire State Building (aus weiter Ferne) folgte dann ein paar Schritte später. Danach fühlte ich mich fast schon nach Bad Kissingen zurückversetzt, als ich ein paar Leuten im Rockefeller Park beim Schach spielen zugeschaut hab. Das ist nämlich die Lieblingsbeschäftigung der Renter da, die können sich ihren ganzen Lebensabend damit beschäftigen. Nur dass hier keine Rentner, sondern kleine Kinder Schach spielten.
Wie meint ihr, die können das gar nicht richtig? Schaut selber, wenn ihr mir nicht glaubt:

Sehenswert war auch der Football Platz mitten in Manhattan, kaum zu glauben, dass die für solche Scherze noch Platz übrig haben. Nicht weit fanden sich auch die einzigen zwei Kirchen dieses Stadtviertels, die natürlich zwischen den riesigen gläsernen Bürotürmen völlig untergehen. Ich glaub die Leute beten hier aber eh eher den Bullen in der Wall Street an.

In den ersten amerikanischen Supermarkt den ich gefunden hab musste ich als Lebensmitteltechnologe natürlich auch sofort reinstürmen, dazu aber ein andermal mehr. Heute gilt die Aufmerksamkeit lediglich der Architektur der Hauptstadt der westlichen Welt!

Ihr fragt euch sicherlich, ob die Wolkenkratzer eigentlich alle friedlich beieinanderleben. Dachte ich bis heute auch, tatsächlich tun das auch fast alle. Nur einer ist anscheinend mal ein Tick zu weit gegangen und hat von den anderen ordentlich eins auf die Fassade bekommen. Jetzt steht er etwas abseits an der Westküste von Manhatten, hoffe das heilt wieder:

Besser geht es dem Woolworth Center, an dieser Stelle liebe Grüße an alle die in Freising schonmal über den Woolworth gelästert haben, was für ein minderwertiger Laden das ist. Fotografiert von dem berühmten New Yorker Broadway aus:

Irgendwann hatte ich genug von Hochhäusern. Ich dachte mir schon von Anfang an, dass es bestimmt auch cool ist das Schiff zu sehen, und nicht nur die ganze Zeit auf dem Schiff herumzulaufen. Also auf in ein anderen Stadtteil... nach Staten Island wäre eine gratis Fähre gefahren, aber das hätte hin und zurück über zwei Stunden gedauert. Das andere Touristenschiff hätte $35 gekostet und hatte eine riesen Schlange voller schmieriger europäischer Touristen, und kam also für mich nicht in Frage

An dieser Stelle ist mir erstmal aufgefallen wie minderwertig sich manche Touristen verhalten. Eine Familie in meiner Nähe hat sich auf Deutsch über den kommenden Tagesverlauf unterhalten. "Ja wir haben doch den New York City Pass für $110 gekauft, da müssen wir unbedingt aufs Schiff und nachher aufs Empire State Building und ins 9/11 Museum, das ist doch alles inklusive.Was für Opfer, die Stellen sich echt freiwillig dreimal am Tag für jeweils mindestens eine dreiviertel Stunde an. Und schieben den Stress des Jahrhunderts um möglichst viel an einem Tag zu schaffen, man hat voll gesehen wie die Frau übelst genervt war. Ich hör die Scheidungspapiere schon rascheln, haha.

Zum Glück konnte mich ein Wasserflaschen Verkäufer beraten, und so kam ich auf die Idee mal die Brooklyn Bridge entlang zu laufen.

Das kann ich nur empfehlen, der Fußgängerweg ist nämlich so eingerichtet, dass man quasi über den Autos läuft, zwischen den beiden Spuren

Ich lief in vollem Tageslicht los und in der Dämmerung zurück... und ich glaub man hätte keinen besseren Blick auf die Skyline von NYC bekommen können. Ich hab vor lauter Aufregung auf dem Rückweg voll vergessen ein Foto zu machen. Das beste vom Hinweg kommt zum Schluss.

Hier erstmal ein Foto von der Brücke auf der Brücke (fand ich ziemlich lustig)

Und auch dieser Teil von Manhattan ist sehenswert, ich habe ihn mal Redhattan getauft:

Ich glaube nicht, dass irgendjemand nur anhand des Bildes erraten könnte, wo es aufgenommen worden ist. Ich finde, das sieht aus wie eine Flagge. Hellblau, Ziegelrot, Dunkelgrün.

Ausserdem hatte man hier eine gute Sicht auf die berühmte Nachbarbrücke, die Not Brooklyn Bridge. Natürlich war ich doof genug auf dem Heimweg zu versuchen, die Zuglinien die im unteren Teil dieser zweistöckigen Brücke verkehren zu erwischen um dabei aus dem Fenster zu schauen. Der Preis dafür waren eine Stunde Umweg, ein riesen Riss in meinem Stadtplan und ein Aufpreis von $2,75. Das lohnt sich definitiv nicht, man hat nämlich kaum was gesehen.

Wenn ich einen Tipp geben müsste, was man in New York unbedingt gemacht haben sollte, wäre es dieser:

Geht abends auf die Brooklyn Bridge!

Hier, das mein ich:

...und jetzt stellt euch das ganze noch ohne Sonne vor und mit lauter kleinen leuchtenden Fenstern! Wilkommen in der Hauptstadt der Welt, gebaut von einem ziemlich cleveren Haufen Säugetiere nach ein paar Tausend Jahren technischen Fortschritts.

Der nächste Beitrag kommt dann aus State College, wo ich heute abend mit dem Bus hinfahre. Bis dann!

PS: Natürlich war sich Guilty but free nicht am lumpen lassen sein, und hat sein Sign mit einem fetten schwarzen Pencil auf die Brooklyn Bridge gepencild: